Alleinsein als Mittel gegen Einsamkeit
- Klaus-Michael Jetter
- 10. Dez. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Jan.
Ich bin an einem Punkt in meinem Leben angekommen, wo ich dank meines Alters erkennen kann, dass viele meiner Bekannten ĂŒber Jahre hinweg sich aus scheinbar verzweifelten Situationen nicht befreien können.
Jetzt, da ich auf meinem Weg der Selbsterkenntnis, welchen ich unter anderem ĂŒber diesen Blog gehe, schon viel ĂŒber mich erfahren konnte, sehe ich, dass sie gar nichts verĂ€ndern wollen, obwohl sie sich offensichtlich unwohl fĂŒhlen.

Die anhaltend verzweifelten Situationen, in welchen sie sich befinden, sind in der Regel aus nicht gelösten Kindheitstraumen entstanden.
Ich habe Ihnen, so weit wie es möglich war, einen Spiegel vorgehalten und auf den Ursprung Ihrer gegenwÀrtigen Probleme in der Kindheit und auf konkrete Lösungsmöglichkeiten hingewiesen.
GeÀndert haben sie nichts, und es scheint ihnen dabei gutzugehen.
Ich sitze da, mir brummt der Kopf und ich frage mich, warum sie gerne, wenn auch unbewusst, leiden.
Mein Kopf hat so lange gebrummt, bis ich gemerkt habe, dass sich bei meinen Bekannten â in ihrem "Hier und Jetzt" â ihre Kindheitssituation im Gesamten widerspiegelt. Es spiegeln sich nicht nur ihre Kindheitstraumen, sondern auch ihre KindheitsglĂŒcksmomente wider. In ihrer frĂŒhen Kindheit gab es, wie bei allen Kindern, keinen Unterschied zwischen ihnen selbst und ihrer AuĂenwelt.  Alles, das Angenehme (die allgegenwĂ€rtige Liebe) wie das Unangenehme (die persönlichen Abneigungen), empfinden sie aufgrund ihrer frĂŒhkindlichen Traumatisierungen, da sich ihr Selbst nicht entwickeln konnte, bis heute als zu ihnen gehörend.
Wenn man jetzt einfach nur einen Baustein aus ihrer Sicht der Dinge entfernen wĂŒrde, könnte es passieren, dass ihr aus Schutz geschaffenes Weltbild zusammenbrechen und eine Retraumatisierung stattfinden wĂŒrde. Denn sie wĂŒrden sich erneut allein in einem ihnen unbekannten Universum wiederfinden, wo niemand da ist, der sich um sie kĂŒmmert. Deswegen ist es sinnvoll, dieses "paradiesische" Gebilde aus Ablehnung und Zuneigung so lange nicht infrage zu stellen, bis sich eine echte Alternative zu dem bisher gelebten Leben im FĂŒhlen, Denken und Handeln anbietet.
Was die wirkliche Alternative ist, weiĂ, wenn auch unbewusst, die "leidende" Person am besten.
Da ja bekanntlich der Fisch zuerst am Kopf zu stinken anfĂ€ngt, wĂ€re der erste Schritt ĂŒberhaupt zu erkennen, dass eine psychische Traumatisierung besteht, ohne dass eine Retraumatisierung erfolgt.
Hier kommt die Liebe ins Spiel. Die unbefangene Liebe.

Da ich das GlĂŒck hatte, als VierjĂ€hriger von einer KindergĂ€rtnerin betreut zu werden, die mich uneingeschrĂ€nkt liebte, konnte ich mir auch erst ab diesem Zeitpunkt bewusst werden, dass es Liebe gibt. Die Liebe ist es, die mir seit 66 Jahren zeigt, wo's langgeht. Sie zeigt mir das, ohne auf sich aufmerksam zu machen. Sie zeigt sich durch Menschen, Tiere, die Natur, alltĂ€gliche Situationen, durch Krankheit, durch Nichtmehrweiterwissen und vieles mehr.
DarĂŒber werde ich mir tröpfchenweise erst im Klaren, wĂ€hrend ich diesen Blogbeitrag schreibe und mir es schwerfĂ€llt zu formulieren, was ich sagen will. Das bedeutet, ich musste mir immer wieder ĂŒberlegen, wie ich das, was ich sagen will, sagen soll.
Die Liebe zeigte sich unter anderem durch Menschen, welchen ich nicht viel Achtung schenkte.

Zu den Menschen, welchen ich nicht viel Achtung schenkte, gehörten die Mitglieder der Gruppe von Alkoholkranken, mit denen ich zusammen in der Entzugsklinik beinahe tÀglich Gruppentherapie machte.
Heute weià ich, dass allein schon ihr Zuhören in den Gruppenstunden, ob sie es wollten oder nicht, Liebe war. Sie hörten nicht freiwillig zu, aber sie hörten zu. Genauso war es mit meinen Therapeuten, die mich auf meinem Weg im Entzug begleiteten. Ich bin bisher immer davon ausgegangen, wenn etwas nicht freiwillig gemacht wird, es nichts mit Liebe zu tun haben kann. Aber das stimmt so nicht, der Liebe ist das Freiwillige oder Unfreiwillige egal. Zuhören ist zuhören und wird von meinem Unbewussten auch so eingeordnet. Deshalb hat es auch dann eine erleichternde Wirkung, wenn es nur anscheinend passiert. Das ist das gleiche wie bei Imagination. Mein Unbewusstes kennt den Unterschied zwischen echtem und vorgestelltem Geschehen nicht.
Ebenso war es bei meinen Eltern, der Stiefvater, der mich verachtete, meine Mutter, die mich sexuell missbrauchte. Das, was sie getan haben, war fĂŒrchterlich, aber sie haben auch dafĂŒr gesorgt, dass ich ein Dach ĂŒber dem Kopf und etwas zum Essen gehabt hatte. Jetzt, wo ich anfange, mich von meiner Wut auf meine Eltern zu lösen, kann ich das so sehen.
Ich könnte noch viele Beispiele fĂŒr die von mir nicht wahrgenommene Liebe anfĂŒhren, aber darum geht es nicht. Mir kommt es in diesem Blogbeitrag darauf an, auf die Liebe hinzuweisen, welche mich mein Leben lang begleitet und deren stĂ€ndige Gegenwart ich erst bemerkte, als ich allein gelassen worden bin und es mir nicht gelang, neue Beziehungen einzugehen.
Es ist niemand da, auĂer meinem Hund, der mich vom Wesentlichen ablenken könnte.

Ich kann mich heute bei meinen Imaginations-Meditationen von vielen Menschen und Tieren umringt sehen, mit welchen ich mich verbunden fĂŒhle.
Das heiĂt, dass fĂŒr mich Alleinsein als Mittel gegen Einsamkeit wirkt.
Klaus-Michael Jetter
Winter 2024
ComentĂĄrios